
Kiffen auf Rezept
Los Angeles - "Nur hereinspaziert, der Doktor ist da!", ruft ein adrett gekleideter Mann mit einem unübersehbaren Hanfblatt-Logo auf seinem Hemd den Sonntagsspaziergängern zu. Innerhalb von Minuten füllen ein junger Wilder auf einem Skateboard, eine ältere Dame mit Hund und ein händchenhaltendes Paar in Shorts und Badeschlappen ein simples Antragsformular aus: Wo habe ich Schmerzen? Wie lange schon? Habe ich schon andere Medikamente ausprobiert, die nicht geholfen haben? Wenn ja, ist eine Empfehlung für Marihuana so gut wie gewiss. Einige Ärzte werben sogar damit, die etwa 100 Dollar (70Euro) "Beratungskosten" zurückzuerstatten, falls sie das begehrte Schriftstück, das ein Jahr lang gültig ist, nicht ausstellen sollten.
Seit 1996 ist die Droge zu medizinischen Zwecken in Kalifornien legal zu haben, so wie inzwischen auch in 13 weiteren Bundesstaaten. Doch nirgendwo ist die Vergabe so außer Kontrolle geraten wie in Los Angeles. Etwa 1000 Ausgabestellen gibt es in der Stadt. Mindestens drei Viertel davon schossen in den vergangenen zwei Jahren wie Pilze aus dem Boden, obwohl sich Marihuana-Gegner und -Befürworter eigentlich auf einen Aufschub geeinigt hatten. Seit US-Justizminister Eric Holder allerdings im Oktober verkündete, Marihuana-Genuss nicht mehr aktiv strafrechtlich zu verfolgen, obwohl ein Bundesgesetz dies nach wie vor verbietet, jubeln die kalifornischen Aktivisten: Eine Legalisierung von Marihuana scheint greifbar nah.
Die Probe aufs Exempel beweist: Ausgabestellen für Marihuana und Ärzte, die geneigt sind, Empfehlungen auszustellen, lassen sich in der Stadt so einfach ausfindig machen wie Palmen. Die Internetsuchmaschine Google listet selbst im San Fernando Valley, der glanzlosen Arbeitervorstadt von Los Angeles, mehr als ein Dutzend Standorte auf. Praktischerweise haben diese oft gleich einen Arzt im Hause - gerne auch Gynäkologen oder Chiropraktiker auf der Suche nach einem lukrativen Zubrot. Preise und Qualität der Ware kann man in diversen Internet-Foren vergleichen, eine Benachrichtigung von Sonderangeboten sogar via Twitter abonnieren.
Das Prozedere ist denkbar einfach. Die Verfasser des kalifornischen Gesetzes haben es - bewusst oder naiv - versäumt, die zum Marihuana-Konsum berechtigten Krankheiten genau zu definieren. Deshalb reicht schon eine schwer nachzuprüfende Klage über Migräneanfälle aus, um eine ärztliche Empfehlung zu bekommen. In anderen Bundesstaaten müssen meist präzise Krankheitsbilder wie Aids, Krebs oder multiple Sklerose nachgewiesen werden. Marihuana kann in solchen Fällen Schmerzen und Übelkeit reduzieren und zugleich appetitanregend wirken - ohne das Abhängigkeitspotenzial anderer starker Schmerzmittel zu besitzen.
Wer im Besitz einer ärztlichen Bescheinigung ist, hat in Los Angeles die Qual der Wahl: Wer es funky mag, besorgt sich den Stoff im Hollyweed oder der Unique Vapor Lounge. Diejenigen, die Wert auf das medizinische Deckmäntelchen legen oder wirklich krank sind, bevorzugen das unauffällige Westside Medical. Einige Läden liefern sogar umsonst direkt nach Hause.
Das Verkaufspersonal berät fachmännisch, welche Marihuana-Sorten mit schillernden Namen wie Trainwreck oder Purple LA Confidential am besten gegen welche Schmerzen geeignet sind - oder einfach nur zur Entspannung beitragen. Wer allergisch gegen Rauch ist, kann seine Medizin auch in Form von Kuchen, Keksen oder Tortilla Chips einnehmen. Touristen, die auf ein zweites Amsterdam hoffen, werden allerdings enttäuscht sein: Bei der Ausgabe des Marihuanas muss ein kalifornischer Ausweis vorgelegt werden.
Gegner argumentieren, die Ausgabestellen würden Kriminelle anziehen. Deshalb formiert sich zunehmend Widerstand: Ein Viertel aller kalifornischen Städte verbietet inzwischen die Ausgabe von medizinischem Marihuana. Zudem sind bereits diverse Gerichtsverfahren gegen Verkäufer eingeleitet worden, die überwiegend mit einem Verbot endeten. Und auch die kalifornische Gesundheitsbehörde steht mehr und mehr unter Druck, Ärzte zur Verantwortung zu ziehen, die quasi blind Empfehlungen ausstellen.
Befürworter einer vollkommenen Legalisierung bringen allerdings ein fast unschlagbares Argument vor: Kalifornien ist hoch verschuldet. Bei einem Marihuana-Umsatz von derzeit gut 14 Milliarden Dollar (9 Milliarden Euro) jährlich könnte der kontrollierte Handel mit der Droge 1,4 Milliarden Dollar (930 Millionen Euro) Steuern einbringen. Nach Umfragen sind derzeit 44 Prozent der Amerikaner für eine vollkommene Legalisierung von Marihuana. Entwickelt sich der Trend weiter wie bisher, sollten sie beim Ende von

Quelle:Stuttgarter-Narichten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen