
Die Medizin weiß es schon länger: Cannabis lindert die Schmerzen und regt den Appetit an. Doch die restriktive Gesetzgebung treibt Kranke an den Rand der Illegalität
Kiffen machte Stefan K. glücklich. "Ich habe schon sieben Kilo zugenommen, seit ich Marihuana rauche", sagt der 21-Jährige. Vor drei Monaten stellten Ärzte bei ihm Lymphdrüsenkrebs fest. Der 128 Kilo schwere Mann verlor innerhalb von zwei Monaten fast 40 Kilo Gewicht. Im Krankenhaus bekam er dann von seinem Zimmernachbarn einen hilfreichen Tipp: Haschisch rauchen. Durch einen Freund hat sich Stefan ein paar Gramm des schwarz-bräunlichen Cannabisharzes besorgen lassen. "Ein mulmiges Gefühl hatte ich dabei", gesteht Stefan. Der Besitz von Hanfprodukten wie Haschisch und Marihuana ist in Deutschland verboten. Bei einer Menge von bis zu fünf Gramm muss, wer erwischt wird, mit einer Geldstrafe rechnen.
Hanf: Medikament statt Rauschmittel
Was Stefan praktiziert, empfahl der chinesische Kaiser Sheng-Nung schon vor fast 5000 Jahren. Im Jahr 2737 v. Chr., so verraten Aufzeichnungen, ermunterte der fernöstliche Herrscher dazu, gegen Verstopfung, Rheuma, Malaria Marihuana zu nehmen. Die Inhaltstoffe der über zwei Meter hoch wachsenden Pflanze bewirken nicht nur Halluzinationen, sondern sind medizinisch aktiv. Daher ist der Cannabiswirkstoff "Dronabiol" seit dem ersten Februar 1998 auch in Deutschland regulär zugelassen. Die Ärzte meiden die vielseitige Droge dennoch. Schuld daran sei "das noch immer weitverbreitete Bild des Rauschmittels in den Köpfen der Ärzte", sagte Franjo Grothenhermen, Mediziner der "Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin" gegenüber Netdoktor. Die Pflanze, die zu den Brennnesselgewächsen gehört, biete eine breitere Einsatzmöglichkeit als herkömmliche Medikamente, so Grothenhermen. Sie rege nicht nur den Hunger an, sondern lindere auch Schmerz-Zustände. Gerade bei Patienten, bei denen herkömmliche Behandlungsmethoden nicht anschlagen, sei Cannabis "als Alternative besser verträglich". Experten empfehlen den Wirkstoff Dronabiol vor allem bei Nebenwirkungen der Chemotherapie, Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit und Abmagerung im Rahmen fortgeschrittener AIDS- und Krebserkrankungen, und beim Grünen Star (Glaukom). Stefan klagt während der Chemotherapie häufig über Übelkeit und Appetitlosigkeit. Um diese Begleiterscheinungen zu mildern, raucht er selbstgedrehte Haschischzigaretten. "Nach einem Joint bekomme ich richtige Fressanfälle", erzählt Stefan begeistert.
"Gesetzgebung erschwert weitere Studien"

Überdosierung praktisch unmöglich
Davor, zu viel zu erwischen, hat Stefan keine Angst. Der Mediziner Grothenhermen: "Der größte Vorteil von Cannabis als Medikament ist die ungewöhnliche Sicherheit vor einer Überdosierung". Bevor es zu einer tödlichen Dosis kommt, müsste ein mit Cannabis behandelter Patient die 20 000-fache Menge der Normaldosis konsumieren. Auch Nebenwirkungen treten nur selten auf. "Cannabis stört keine körperlichen Funktionen oder schädigt Organe, wenn es in therapeutischer oder kontrollierter Dosierung eingenommen wird", erläutert Grothenhermen. Es verursache geringe körperliche Abhängigkeit. Bislang gebe es keinen Hinweis darauf, dass medizinischer Gebrauch von Marihuana zu einem Missbrauch als Rauschmittel führe, sagt Grothenhermen. "Cannabis hat mir geholfen, die Therapie besser durchzustehen. Jetzt brauche ich es nicht mehr", sagt Stefan K. Mittlerweile hat er seine Therapie erfolgreich zu Ende gebracht und hat seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann wieder aufgenommen.
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