Sonntag, 10. Januar 2010

Tschechien wird zu Europas Drogenparadies

Tschechien hat ein erstaunlich liberales Rauschmittel-Gesetz erlassen. Die Beschränkungen für Eigenbedarf etwa liegen dreimal so hoch wie in den Niederlanden. Dass die Szene jubelt, ist kein Wunder. Jeder zweite junge Tscheche hat Erfahrungen mit weichen Drogen. Das ist ein unerreichter Wert in Europa.

Tschechien hat ein sehr liberales Rauschmittelgesetz verabschiedet. Darüber freuen sich vor allem Cannabis-Raucher in dem osteuropäischen Land

Für Prager Bildungstouristen gehören die Burg über der Moldau, Galerien, Konzerthäuser oder die Karlsbrücke zum Pflichtprogramm. Viele Besucher kommen auch einfach nur wegen des süffigen böhmischen Bieres in die tschechische Hauptstadt.

Demnächst wird es vermehrt auch eine andere Interessengemeinschaft nach Prag ziehen: Diejenigen, die gern mal ungestraft einen Joint rauchen. Die könnten dann Klubs wie das „Ujezd“ ansteuern, wo es schon am frühen Nachmittag süßlich-schwer nach Haschisch duftet.

Prag war schon immer ein Hort für Drogenkunden und -produzenten. Selbst zu sozialistischen Zeiten gab es Suchtkliniken – einmalig damals im Ostblock. Nach der Revolution von 1989 ging es noch freizügiger zu. Jeder Prager wusste, dass man an der Kreuzung von Wenzelsplatz und Graben Kokain, Heroin oder Marihuana kaufen konnte. Unter den Augen der Polizei, die nie einschritt.

Das Dealen bleibt strafbar

Der Stoff war dem Vernehmen nach nicht nur von guter Qualität, sondern überdies auch noch erschwinglich. Logisch, dass auch viele Schüler hier ihren ersten Kauf tätigten. Die Folgen: Jeder Zweite aus dieser Altersgruppe in Prag hat seit der „Wende“ Erfahrungen mit sogenannten weichen Drogen gemacht – das ist Spitze in Europa.

Auch außerhalb Prags, in den Vorgärten auf dem Land, blühte der Anbau von Cannabis-Pflanzen. Es lag im Ermessen der Polizei, ob sie einen Fall der Staatsanwaltschaft überantwortete, es bei einem Ordnungsgeld beließ oder gar nicht einschritt. Eine „kleine Menge“ ließ man immer durchgehen. Jeder Versuch, den Drogenanbau und -konsum juristisch zu regeln, scheiterte an einer an Formel, die an höhere Mathematik erinnert: „Wie groß muss eine Menge sein, damit sie nicht mehr klein ist?“

Jetzt hat sich die amtierende Beamtenregierung unter dem gelernten Statistiker und somit „Mengenlehre-Experten“ Jan Fischer an diese Rechenaufgabe gemacht. Im Ergebnis fixierte sie erstmals Obergrenzen für den Anbau von Drogenpflanzen, Kakteen oder Pilzen, die als Halluzinogene eingestuft werden.

Bei fünf Cannabis-Pflanzen etwa, für den „Eigenbedarf“, muss niemand etwas befürchten. Kakteenzüchter können sich die gleiche Menge ihrer ebenso stachligen wie rauschmittelhaltigen Pflanzen leisten. Strafbar macht sich erst der, der mit mehr als 15 Gramm Marihuana, ein Gramm Kokain, 1,5 Gramm Heroin oder vier Ecstasy-Pillen angetroffen wird.

Das sind Werte, die zum Teil dreimal so hoch liegen wie in den liberalen Niederlanden. Auch Amphetamine sind in der Tabelle aufgelistet. Im „Ujezd“ findet man das „ganz in Ordnung“, endlich müsse man keine Angst mehr haben. Und: „Wer trägt schon 15 Gramm Marihuana mit sich herum?“

Strafbar bleibt auch nach der neuen Verordnung in jedem Fall das Dealen. „Geschäfte mit Drogen duldet das neue Gesetz nicht, völlig unabhängig von der Menge“, erläutert Jakub Frydrych, der Chef der tschechischen Anti-Drogen-Behörde. Er lobt, dass es jetzt Rechtssicherheit gebe. Das gesamte Gesetz lehne sich an die derzeitige Praxis bei Gericht an, fügt die tschechische Justizministerin Daniela Kovarova hinzu.


"Amsterdam war gestern, die Zukunft heißt Prag"

Zeitungen kommentierten, jeder Tscheche sei ein mündiger Bürger und müsse selbst wissen, wie er mit seiner Gesundheit und seinem Leben umgehe. Drogen wurden mit Alkohol auf eine Stufe gestellt, stellten in erster Linie ein gesundheitliches Problem dar, kein kriminelles. Die auflagenstärkste seriöse Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ bemerkte: „So, wie sich kaum jemand auf der Arbeit sinnlos betrinkt, wenn er nicht seinen Job riskieren will, wird sich auch kaum jemand im Büro zukiffen.“

Nicht alle sind glücklich mit dem Regierungsbeschluss, der zu Beginn des neuen Jahres in Kraft getreten ist. Die Hilfsorganisation Drop In etwa, die sich aufopferungsvoll um Prags Drogensüchtige kümmert, hätte sich das Hauptaugenmerk der neuen Regelung mehr auf der Vorbeugung gewünscht. „Der Regierungsbeschluss geht leider in die falsche Richtung“, moniert der Gründer der Hilfsorganisation, Ivan Douda. Er weiß, wovon er spricht. Für Aufklärung und Hilfe nämlich investiert Tschechien nur einen Bruchteil dessen, was etwa in den Niederlanden üblich ist.

Doch in den rauchgeschwängerten, gemütlichen Klubs wie dem „Ujezd“ sieht man diese Kehrseite der Medaille nicht. Klubmanager Martin Kmoch weiß, dass die Nachbarländer eine sehr viel härtere Linie fahren, seit Neuestem selbst die Niederländer ernsthaft über Restriktionen in der Drogenfrage nachdenken. Kmoch wittert da ein gutes Geschäft: „Amsterdam war gestern, die Zukunft heißt Prag.“

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